Der Glaube an einen allmächtigen Schöpfergott wirft vielfältige Fragen auf. Wie können in einer an sich als gut gedachten Schöpfung Tod und Leid existieren ohne dass der allmächtige Schöpfer korrigierend eingreift? Warum schweigt Gott angesichts des Leides in der Welt? Diese sogenannte „Theodizee“-Frage mag man mit der Ablehnung des Glaubens an einen Schöpfergott beantworten; allein: die Ablehnung Gottes macht das Leid weder ungeschehen noch sinnvoller. Vielmehr wirft die Welt, so wie sie ist, die Frage nach dem Verhältnis von Schöpfer und Schöpfung auf. Es zeigt sich, dass ein allmächtiger Schöpfergott an sich auch ohnmächtig sein muss – sonst wäre die Welt, wie biblische Überlieferungen wie die Noah-Erzählung zeigen – dem Untergang geweiht. Der Ruf nach der Allmacht Gottes wird so letztlich auch zum Auftrag an den Menschen.
Wir präsentieren hier den Audio-Mittschnitt des Facebook-Livestreams der Glaubensinformation vom 31. Mai 2017 im Kath. Stadthaus Wuppertal. Es spricht Dr. Werner Kleine.
Die Aussage Gott kann nicht ohne Schöpfung sein würde bedeuten,dass er nicht allmächtig sein kann.da er aber allmächtig ist stellt sich die Frage warum der Impulsgeber einen Impuls gibt,wenn er auch ohne sein kann
Das Problem ist, dass eine Allmacht Gottes ohne seine potentielle Ohnmacht eben nicht wirklich denkbar ist. Das wird immer wieder übesehen. Die Rede von der Allmacht Gottes ist deshalb notwendigerweise immer paradox. Um aber auf Ihre Frage zu sprechen zu kommen: Man kann sicher Gott ohne Welt denken – wenn man einseitig die Perspektive Gottes einnimmt, die aber keine Zeit, kein Werden und Vergehen kennt. Diese Perspektive können wir aber eben nicht wirklich denken. Bei Gott gibt es kein Vorher oder Nachher. Denken können wir immer nur aus der Perspektive von Raum und Zeit – und schon hier ist es unmöglich, etwas über den Zustand vor der Zeit zu sagen. Aus der Perspektive unserer Betrachtung kann es also Gott nie ohne Schöpfung gegeben haben. Auch das ist wieder in sich paradox – und diese Paradoxie spüren Sie. Es ist das Problem, Zeit und Ewigkeit zusammenzudenken. Ihr Denkansatz geht von einem zeitlichen Zustand vor der Schöpfung aus, den es aber so nicht gibt, weil Zeit immer nur schöpfungsimmanent ist. Es ist also ein wenig wie mit Schrödingers Katze – es kommt auf die Perspektive an, aus der man schaut: Aus Sicht der Zeit kann Gott nie ohne Schöpfung sein. Aus der ewigen Sich Gottes schon. Da es da aber keine Zeit, kein Vorher oder Nachher gibt, die Schöpfung aber ist, ist Gott nie ohne Schöpfung. Auch das ist also betrachterorientier – in gewisser Weise eine schöpfungstheologische Relativitätstheorie. Denken kann man den Schöpfer ohne Schöpfung. Allerdings bedingt das gleichzeitig einen Fehler, dass es die Zeit schon vor der Zeit gegeben hätte. Tatsächlich aber ist Gott nicht ohne Schöpfung, weil er zeitlos ist, die Schöpfung aber ist ;-). Der Gedanke ist komplex – ich weiß. Aber er ist faszinierend, wenn man sich auf ihn einlässt – vor allem, weil dann vieles von banaler Gottesrede, die man in manchen Religionen, auch in der Kirche hört, in sich zusammenfällt … Gott ist eben und er schafft. Und nichts, was ist, ist nicht aus ihm, in der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, im Himmel und auf Erden. Das ist der tieferen Sinn unseres Bekenntnisses.
Interessant der Ansatz allmächtig ohnmächtig vom 20.10.Genau so könnte man das Paradox mit allwissend anstellen.Alle Information ist zeitlos in Gott.Er weiß,wie Person A zum Zeitpunkt x sich in der Situation Y entscheidet.Da beginnt mein Problem mit dem freien Willen.Wenn Gott zeitlos allwissend ist,kann sich Person A gar nicht anders entscheiden,wie Gott zeitlos weiß.Er ist allwissend.Oder nichtwissend allwissend und seine Information wächst stetig durch den freien Willen in der Raumzeit?
Sie haben Recht – das Paradox bezieht sich auch auf Allwissend und Unwissenheit. Gerade weil Gott alles weiß – eben auch die potentiellen Möglichkeiten, die aber in der Zeitlinie nicht aktiviert werden – ist er unwissend, welche freiheitliche Entscheidung der Mensch für sich treffen wird. Er kennt auch diese – klar, aber eben neben allen anderen möglichen Optionen. Gott weiß also um die potentielle Möglichkeit, aber er „weiß“ nicht, welche freiheitlich aktualisiert wird. Würde er das „wissen“, wäre die Freiheit dahin …
In der Summe ist diese Erkenntnis höchst bedeutsam, weil sie den Menschen auf sich zurückwirft. Der Mensch kann seine Verantwortung nicht an Gott delegieren. Es ist an ihm, dem Menschen selbst, sich der eigenen Verantwortung zu stellen. In der aktuellen Folge gehe ich darauf im Zusammenhang mit dem Hinausgehen aus dem Paradies in ein mündiges Leben ein. Es entspricht m.E. auch zutiefst der christlichen Ethik. Gott ist da, er ist nicht weg. Aber der Mensch ist gefordert, an der Schöpfung mitzuwirken, gerade weil er die göttliche Fähigkeit der Erkenntnis von Gut und Böse erlangt hat. Würde das bedeuten, dass man auch ohne Gott leben könnte? Durchaus – viele tun es ja und sind deshalb nicht per se unethisch. Für uns Christen spielt hier aber der Gerichtsgedanke eine interessante Rolle. In Offb 20,11-15 wird dieses Gericht als Abgleich der Lebensbücher der Menschen mit dem Lebensbuch aus Offb 5,1 beschrieben. Dieses Buch beinhaltet alle Optionen (Allwissenheit), die Bücher der Lebenden die eine vollzogene (Option der Unwissenheit Gottes und Freiheit des Menschen). Ob die einzelnen Menschen nun die optimale und die schlechteste Option oder welche auch immer dazwischen gewählt haben, wird im Gericht offenbar – und der Mensch hat sich zu verantworten, was er getan, aber auch was er nicht getan hat (siehe hierzu Mt 25,31-46). Der Mensch steht in der Verantwortung vor Gott. Das ist ein ethisches Movens für Glaubende; Nicht-Glaubende können aus purem Humanismus zu einem gleichen Ergebnis kommen. Für Glaubende aber bleibt die Hoffnung (Paulus spricht von Gewissheit), dass irdische Ungerechtigkeiten von Gott ausgeglichen werden – über den Tod hinaus. Das ist das eigentliche und erlösende Proprium des christlichen Glaubens, vor dem Nicht-Glaubende m.E. passen müssen. Da bliebe ein Unrecht ungesühnt. Der Mensch aber selbst ist angesichts eines allmächtig-ohnmächtigen bzw. allwissend-unwissenden Gottes mehr in der Pflicht, die ihm so zugemutet wird, als es eine oberflächliche Frömmigkeit ahnen lässt. Die Tiefe des Glaubens wird erst in der mündigen Übernahme dieser Verantwortung sichtbar. KAB und Kolping wären ohne dem doch gar nicht denkbar gewesen ;-).
Freier Wille ist ohne Ohnmacht nicht denkbar?Oder ist das nur ein künstlicher Widerspruch?Übertragen auf den Impuls bei der Schaffung der Welt würde es ja bedeuten,dass Gott zwar den Impus gegeben hat,aber nicht weiß,wohin sich der Impuls entwickelt und dann nach den Naturgesetzen zufällig der Mensch entstanden ist,der einen freien Willen hat.Nach dem Prinzip Ursache und Wirkung ist der Aufbau der Welt determiniert.Weil,der Impuls so war,wie er war ist die Erde entstanden mit all den physikalischen Abläufen vorher.Erst dieses determinierte Prinzip ist die Grundlage für den freien Willen des Menschen.Gott kennt keine Zeit.Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft in der Raumzeit sind vereint in Gott.Dann wäre es logisch,dass Gott unter allen denkbaren Optionen auch meine Option in der Zukunft kennt.Ist das ein Widerspruch zum freien Willen?Nein,nur dann,Wenn Gott auf den freien Willen einwirkt.
Wenn Gott unwissend allwissend ist,meine Entscheidung unter den unendlichen Optionen erst dann kennt heißt das:
– Gottes Information wächst mit jeder Entscheidung des Menschen,er wird immer mehr vom Nichtwissenden zum Wissenden vom Ohnmächtigen zum Allmächtigen.
-Gott selbst hat eine Welt geschaffen,in der er sich selbst ohnmächtig macht,nur um dem Menschen einen freien Willen zu geben.Welch ein Vertrsuen,welch eine Liebe zum Menschen,die so unendlich groß sein muß,dass er selbst seine eigene Allmacht dazu opfert.Er hätte einen winzig anderen Impuls mit Schaffung der Welt als Allmächtiger setzen können und wir hätten genau das gleiche Universum,die gleiche Erde,die gleichen Menschen,nur mit dem großen Unterschied,eben kein freier Wille.
Vieleicht hat er unendlich viele Impulse gesetzt und die Universen unterscheiden sich in winzigen Kleinigkeiten.Einige sind noch im Stadium,wo Leben noch entsteht,bei anderen existiert intelligentes Leben schon seit Millionen Jahren,in einigen Leben Mensvhen friedlich mit einander in anderen hat die Zivilisation sich selbst zerstört.
Lieber Herr Peters,
vielen Dank für Ihren neuerlichen und inspirierenden Kommentar.
Zuerst einmal möchte ich allerdings feststellen, dass ich mit meinem Gedankenspiel der die Ohnmacht notwendigerweise implizierenden Allmacht Gottes auf die Problematik einer undifferenzierten Rede von der Allmacht Gottes aufmerksam mache. Die Rede von der „Allmacht Gottes“ ist ja eben auch erst einmal nur der Versuch, Gott beschreiben zu können – ein Versuch, der dann sofort wieder in die Aporien (Herkunft des subjektiv als Böse empfundenen, Theodizee, Warum greift Gott angesichts von Kriegen nicht ein?, Dualismusproblem usw.) führt. Das von mir aufgezeigte Paradox macht deshalb zuvorderst darauf aufmerksam, dass die Rede von der „Allmacht Gottes“ zwar als Bekenntnis möglich ist, aber eben sonst viele Fragen offen lässt und gerade darin paradoxerweise den Menschen wieder auf sich selbst zurückwirft. Die Rede von einem „allmächtigen Gott“ löst nichts …
Sie schneiden dann aber eine weitere wichtige Frage an – die der Freiheit, die indirekt eben mit der Frage nach einem allmächtigen Gott verknüpft ist (wobei ich eben zeige, dass da aufgrund des Paradoxons kein Widerspruch liegt). Ihre Frage geht aber weiter: Ist Freiheit überhaupt angesichts des Ursache-Wirkungs-Prinzips möglich. Sie haben Recht: auf der Teilchenebene ist das – auch bei noch so großem scheinbaren Chaos – eigentlich stringent. Prinzipiell ist da alles berechenbar, also determiniert. Jedenfalls scheinbar … allein die Frage, ob Photonen nun Teilchen oder Wellen sind, zeigt auf, dass auch hier immer die Frage der Beobachtung, also einer subjektiven Entscheidung eine Rolle spielt. Ebenso die Fragen, die Relativitätstheorien aufwerfen. Ein und dasselbe Phänomen kann – abhängig vom Standpunkt des Beobachter – unterschiedliche Wirkungen bzw. Interpretationen evozieren. Das alleine deutet schon an, dass zwar auf der Ebene der Teilchen eindeutige Kausalitäten vorhanden sind, aber eben nicht mehr auf der Ebene der Beobachtung. Das führt zu der Frage, ob die Ebene der Beobachtung selbst nicht möglicherweise teilchen-kausalitäts-bedingt ist. Das führt aber in eine Aporie, weil diese Frage selbst wieder eine Frage der Beobachtung ist. Dafür müssten wir auf eine Meta-Ebene wechseln können, die außerhalb der Teilchenexistenz da ist. Geht das?
Innerhalb von Versuchen, die den Determinismus nachweisen sollen, wird m.E. genau dieser Denkfehler gemacht, dass man den Kontext des Beobachters außer Acht lässt. Der Beobachter schafft ja einen Kontext, innerhalb dessen alles determiniert scheint – die Probesituation. Was der Beobachter außer Acht lässt, ist dass es eine vorgängige Entscheidung und damit Selbstdetermination der Probanden gibt, sich in die Probesituation zu begeben. Das wird bei der Interpretation in der Regel nicht berücksichtigt. Ist eine Entscheidung vor der Probe also in sich schon determiniert oder nicht doch letztlich frei möglich.
Hier ist zuerst festzustellen, dass absolute Freiheit zwar denkbar, aber letztlich nicht wirklich möglich ist. Warum? Weil jede (subjektive) Entscheidung alle zeitlich folgenden beeinflusst. Jede Entscheidung schafft einen neuen Kontext, aus dem sich die anderen ergeben. Eine absolute Freiheit wäre nur denkbar, wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten. Das geht nach derzeitigem Stand der Dinge nicht (und wird es wahrscheinlich auch nie). Allein die Zeitebene trägt also einen prinzipiell determinierenden Charakter in sich. Ich kann zwar Entscheidungen revidieren und neujustieren, nie aber die ursprüngliche Entscheidung und die daraus folgende Handlung rückgängig machen.
Ist aber trotzdem innerhalb dieses Kontextes Freiheit möglich oder nicht? Ich meine, dass bei einer rein teilchenorientierten Argumentation, die letztlich unmittelbar in einen Determinismus führt, ein Aspekt unberücksichtigt bleibt: Nicht alles ist Teilchen, nicht alles ist Materie. Das, was wir als „Geist“ bezeichnen, als „Genius“ entzieht sich faktisch der teilchenbasierten Fassbarkeit. Ist das eine Illusion? Möglich, aber unwahrscheinlich. Allein die Grenze zwischen Tod und Leben macht das für mein Empfinden sichtbar: Das eben noch lebende Wesen ist durch den Tod verändert. Die Teilchen sind alle noch da und doch ist etwas völlig anders. Der Organismus funktioniert nicht mehr, das Leben, der „Geist“, der „Genius“ ist gegangen, obwohl die Materie noch vollständig da ist. Das gilt m.E. nicht nur für die Menschenwelt, sondern für das Leben an sich. Das Lebensprinzip „Geist“, im griechischen als πνεῦμα (pneûma) bezeichnet, macht den Unterschied – auch biblisch. Es wäre nun nachzuweisen, dass auch dieses Lebensprinzip teilchenbasiert ist. Dieser Nachweis konnte bisher nie erbracht werden. Es ist nicht messbar, aber offenkundig da. Solange das nicht falsifiziert wird, darf man also – gerade als Theologe, aber nicht nur – davon ausgehen, dass hier das teilchenbasierte Ursache-Wirkungs-Prinzip eben nicht deterministisch aktiv ist. Hier wohnt Freiheit inne, hier liegt der Kern für die Deutefähigkeit erkennender Wesen – freilich unter der Beachtung, dass durch die Zeitbindung Freiheit nicht absolut sein kann, sondern sich innerhalb vorgängig entstandener Kontexte bedingt ist. Kurz: Wir kommen nach derzeitigem Wissensstand nicht um die Annahme grundsätzlicher Freiheitsmöglichkeiten herum. Teilchenbasierte und letztlich determinismusorientierte Konzepte bleiben da rein auf der materialistischen Ebene, die aber wesentliche Aspekte auch physikalischer Natur (Licht: Welle oder/und Teilchen; Relativitätstheorie und die sich daraus ergebende Erkenntnis der Bedeutung des Standpunktes des Beobachters) verkürzt oder sogar außer Acht lässt. Freilich muss die Freiheitsidee falsizifierbar sein. Bis zum Beweis des Gegenteils muss man sie aber annehmen, wobei auch das eben paradox ist: Wäre der Beweis der Unfreiheit ein freiheitlicher Entschluss oder eine innere Notwendigkeit der Geschöpflichkeit des Menschen – und wie ginge der Mensch dann mit dieser Erkenntnis um, mit der er – weil unfrei – gar nicht umgehen dürfte …
Für uns bleibt die Aufgabe: Das Paradox eines allmächtigen Gottes, der – weil eben allmächtig – auch ohnmächtig sein kann und vielleicht sogar sein muss, wirft den Menschen auf sich selbst zurück: Jeder, der ruft: Gott hilf! wird die Antwort hören: Handle auch du selbst! Die Allmacht Gottes ist eben ein Bekenntnis, nie aber eine Entschuldigung: Weder für Gott, noch für die Bekennenden!
Ihr Dr. Werner Kleine
PS: Unter https://www.juedische-allgemeine.de/religion/sklaven-unserer-umstaende/ gibt es übrigens einen interessanten Beitrag aus jüdischer Perspektive zum Thema.
mit dem Beobachter ist ein wichtiger Aspekt.Wie bei Schrödingers Katze ist erst durch den Eingriff des Beibachters klar,die Katze ist tot.Ohne Beobachter ist die Katze in einem Schwebezustand.
Ein zweiter Aspekt.Das was der Beobachter beobachtet ist Materie.Eine „Erstsynapse“ gibt ihm an,wie der Probant sich entscheidet.Nur,woher der Impuls kommt,kann er nicht beobachten.Impuls setzt voraus,dass Geist ohne Materie existiert und zum Ich gehört.Der heilige Gast wohnt in uns.Er ist- um in der bildlichen Sprache zu bleiben- der Garant des“freien Willens“ wie von Ihnen einschränkend richtigerweise beschrieben.Freier Wille ist demnach ohne einen Impulsgeber nicht denkbar.Judas hätte sich anders entscheiden können.Ja,aber der menschgewordene Gott kannte die Entscheidung,weil da,wo Gott ist,es keine Zeit gibt.Widerspruch zum freien Willen?Oder freier Wille des Evangelisten es so zu überliefern und nicht anders?
So ist es. Das Problem ist eben, dass im Nachhinein jede – im Moment des Vorgangs prinzipiell freie – Entscheidung determiniert ist. Im Nachhinein kann sie zwar revidiert und geändert, an sich aber aufgrund der Zeitgebundenheit nicht mehr rückgängig gemacht werden. Retrospektiv erscheint sie damit in gewisser Weise determiniert, zumal sie alle freien Folgeentscheidungen kontextualisiert. Absolute Freiheit ist in diesem Sinn nicht wirklich möglich, kontextuelle Freiheitsräume aber sehr wohl. Vielleicht hätte Judas anders entscheiden können. Wir kennen nur die Entscheidung, die er vollzogen hat. Warum aber hat er so entschieden? Da gibt es schon mehrere Ansätze, die die Vielschichtigkeit der Motivation deutlich machen: Schändlicher Verrat eines Freundes (Lukas-Variante), Beeinflussung und Manipulation Jesu das Kreuz auf sich zu nehmen (Amos Oz), Druckmittel, damit Jesus endlich handelt (meine Variante) oder möglicherweise sogar „Verrat“ auf Weisung Jesu (das scheint der Hintergrund des Johannesevangeliums zu sein). Allein diese Vielschichtigkeit zeigt die Ambivalenz der wie auch immer gearteten freien Entscheidung des Judas an. Er hätte anders handeln können – wir kennen nur die Handlung, die er vollzogen hat … und selbst die ist uneindeutig, hat also Freiheitsraum.